Neues Fehlzeiten-Dashboard der Sozialversicherung bietet Übersicht zum Krankenstandsgeschehen in Österreich
Im Auftrag des Dachverbandes der Sozialversicherungsträger (DVSV), der Wirtschaftskammer und der Arbeiterkammer erarbeitet das Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) seit über 15 Jahren jährlich den „Österreichischen Fehlzeitenreport“. Er liefert Einblicke in die Entwicklung und Verteilung der Krankenstände in Österreich für die Gruppe der unselbstständig Beschäftigten. Der Schwerpunkt in diesem Jahr beleuchtet das Krankenstandgeschehen von Lehrlingen und jungen Erwerbstätigen. Um die Fehlzeiten zeitnäher nach der Veröffentlichung der Daten bereitstellen zu können, erscheinen künftige Reporte ab jetzt immer zur Jahresmitte. Heuer werden dafür einmalig zwei Jahre (2022/23) dargestellt.
Die Krankenstandsstatistik der Jahre 2022 und 2023 verzeichnet gegenüber dem Jahr 2021 eine Erhöhung der krankheitsbedingten Fehlzeiten. Die unselbständig Beschäftigten verbrachten im Jahresverlauf 2022 durchschnittlich 14,9 Kalendertage im Krankenstand, um 24,6 Prozent mehr als 2021 (12,3 Kalendertage). 2023 erhöhten sie sich nochmals um 4,6 Prozent, auf durchschnittlich 15,4 Krankenstandstage je Beschäftigter bzw. je Beschäftigte. Die Krankenstandsquote definiert das Verhältnis der Krankenstandstage zum Arbeitsvolumen. Sie ist ein Indikator für den Verlust an Arbeitszeit und erhöhte sich auf 4,1 Prozent (2022) bzw. auf 4,2 Prozent (2023), im Jahr 2021 lag sie bei 3,4 Prozent. Der Anteil der Versicherten, die in den Jahren 2022 und 2023 mindestens einmal im Krankenstand waren, stieg auf 69,5 Prozent (2022) bzw. auf 71,2 Prozent (2023) an (Vgl. 2019: 64 Prozent, 2021: 57,4 Prozent), die Krankenstandstage je Krankheitsfall gingen auf 9,4 Tage im Jahr 2022 bzw. auf 9,3 Tage im Jahr 2023 zurück (2019: 9,7 Tage, 2021: 10,3 Tage) und erreichten damit ein Allzeittief.
Krankenstandsgeschehen geprägt von COVID-19, Arbeitsunfälle sehr gering
Es ist davon auszugehen, dass die Versicherten häufiger, aber kürzer als in den Jahren davor krank waren. Dies steht vermutlich in Verbindung mit der Zunahme bei den Atemwegserkrankungen, aber auch damit, dass es mit COVID-19 eine zusätzliche Erkrankungsquelle gibt. Seit Sommer 2022 sind die COVID-19 Krankenstände in der Krankenstandsstatistik erfasst, vorher sind die Fehltage aufgrund Absonderungen laut Epidemiegesetz nicht in der Statistik enthalten.
Die Krankenstände sind am höchsten Niveau seit 30 Jahren. Die Zahl der Arbeitsunfälle bewegt sich hingegen auf sehr niedrigem Niveau. 2,7 Prozent der Beschäftigten waren im Jahr 2023 von einem Arbeitsunfall betroffen. Berücksichtigt man nur Arbeitsunfälle im engeren Sinn und klammert Wegunfälle aus, so lag die Unfallquote im Jahr 2023 sogar nur bei 2,3 Prozent.
„Auch wenn die Krankenstände 2022 und 2023 – geprägt vom Auslaufen der Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie und den damit einhergehenden Anstiegen bei Atemwegs- und COVID-19-Erkrankungen – gestiegen sind, ist das Niveau langfristig gesehen vergleichsweise niedrig. Dämpfend wirkt die Reduktion der Arbeitsunfälle und die Verschiebung der Wirtschaftsstruktur in Richtung Dienstleistungen. Darüber hinaus soll weiter auf den Ausbau der psychosozialen Versorgung Wert gelegt werden, denn die durchschnittliche Krankenstandsdauer bei psychischen Erkrankungen ist mit 37 Tagen weiter sehr hoch. Mit einem flächendeckenden Ausbau der psychosozialen Versorgungszentren können wir viele lange Krankenstände verhindern“, erklärt Andreas Huss, Vorsitzender der Konferenz der Sozialversicherungsträger.
Kosten der Krankenstände
Krankheitsbedingte Fehlzeiten haben auch einen Einfluss auf direkte und indirekte Kosten im System. Die direkten und indirekten betriebswirtschaftlichen und volkswirtschaftlichen Kosten der Fehlzeiten beliefen sich im Jahr 2022 auf 5,3 Milliarden Euro bzw. auf 1,2 Prozent des BIP.
„Aus Sicht der Betriebe ist zu hoffen, dass der starke Anstieg der Krankenstandstage um 20 Prozent gegenüber dem langjährigen Schnitt einmalig ist und das Niveau wieder zurückgeht. Denn für die Unternehmen bedeutet das eine enorme Belastung von rund 250 Euro je Krankenstandstag, die durch die Kosten der Entgeltfortzahlung und Überstunden von Kolleginnen und Kollegen sowie durch verlorene Wertschöpfung anfallen. Dazu kommt, dass Krankenstände den Arbeitskräftemangel verschärfen“, so Rolf Gleißner, Leiter der Abteilung Sozial- und Gesundheitspolitik in der Wirtschaftskammer Österreich.
„Das Krankenstandsgeschehen zeigt einmal mehr die Wichtigkeit von Prävention, guten Arbeitsbedingungen und bestmöglicher Versorgung von chronischen Erkrankungen. In allen drei Bereichen hat Österreich enormen Aufholbedarf. Wir brauchen Investitionen in die Gesundheit in den Kindergärten, Schulen und in der Arbeitswelt. Das heißt, gleiche Chancen auf Gesundheit für alle Kinder und alle Arbeitnehmer:innen. Eine gesunde Arbeitswelt und gesunde Arbeitnehmer:innen werden wir nur mit Finanzierungsgerechtigkeit für die ÖGK und AUVA erreichen“, betont Wolfgang Panhölzl, Leiter der Abteilung Sozialversicherung in der Arbeiterkammer Wien.
Atemwegserkrankungen am meisten verbreitete Krankenstandsursache
Die häufigste Ursache für Krankenstände waren im Jahr 2023 Atemwegserkrankungen, insbesondere im Zusammenhang mit COVID-19, gefolgt von Muskel- und Skeletterkrankungen sowie Erkrankungen des Bindegewebes. Zusammen verursachten diese Erkrankungen 50,5 Prozent aller Krankenstandsfälle und 41,3 Prozent aller Fehlzeiten. Charakteristisch für Atemwegserkrankungen ist, dass das Krankheitsgeschehen mit durchschnittlich 5,4 Tagen besonders kurz ausfällt. Verletzungen und Vergiftungen machten 2023 14,6 Prozent der Krankenstandstage bzw. durchschnittlich 19 Fehltage pro Versichertem bzw. Versicherter aus. Psychische Krankheiten sind für 10 Prozent aller Krankenstandstage verantwortlich, das mit nur 2,6 Prozent der Krankenstandsfälle aufgrund der durchschnittlich 37,2 Fehltagen pro Krankenstandsfall.
„Zwei Fünftel aller Krankenstände im Jahr 2023 sind auf Atemwegserkrankungen zurückzuführen, Grippeschutzimpfungen würden hier dämpfend wirken. Muskel-Skelett-Erkrankungen, die 11 Prozent der Krankenstände und 18,5 Prozent der Krankenstandstage ausmachen und mit dem Alter zunehmen, lassen sich jedenfalls durch gezielte Gesundheitsmaßnahmen reduzieren“, stellt Christine Mayrhuber, Ökonomin und stellvertretende Direktorin im Wirtschaftsforschungsinstitut WIFO und Vorsitzende der Alterssicherungskommission im Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, fest.
Schwerpunkt Lehrlinge und junge Erwerbstätigen
Die Krankenstandsquoten nach Alter folgen grundsätzlich einem leicht U-förmigen Muster: Jugendliche unter 20 Jahren sind vergleichsweise häufig krank, ab dem 20. Lebensjahr gehen die al-tersspezifischen Krankenstandsquoten zurück. Ab 45 Jahren steigt die durchschnittliche Zahl an Krankenstandstagen wieder an und erreicht bei Beschäftigten zwischen 60 und 64 Jahren den Höchstwert. Ältere Arbeitskräfte treten seltener als junge einen Krankenstand an, sie sind jedoch überproportional oft von langen Krankenstandsfällen betroffen.
Während 2023 eine Krankschreibung bei Infektionskrankheiten bei den 15- bis 19-Jährigen bzw. 15- bis 29-Jährigen im Schnitt 3,2 bzw. 3,7 Tage dauerte, waren es bei psychischen Erkrankungen 13,8 Tage bei den 15- bis 19-Jährigen und 23,6 Tage bei den 15- bis 29-Jährigen. Die mit Abstand längsten durchschnittlichen Krankheitsdauern zeigen sich bei den 15- bis 29-Jährigen damit für psychische Krankheiten und Verhaltensstörungen. Die zweitlängsten Fehlzeiten entstanden bei Verletzungen und Vergiftungen, die bei den Jüngeren im Schnitt 12,0 Tage dauerten. Im Vergleich zur Gesamtheit der Versicherten waren verletzungsbedingte Krankenstände bei den unter 20-Jährigen zwar etwas häufiger, im Schnitt aber um 7 Tage kürzer.
Insgesamt zeigen sich höhere Krankenstandsquoten beim Berufseinstieg bzw. zu Beginn der Erwerbsphase sowie ein erhöhtes Risiko für Fehlzeiten in Abhängigkeit vom Qualifikationsniveau. Vorhandene Befunde belegen dabei den Zusammenhang zwischen der Häufigkeit von Fehlzeiten und den Arbeitsbedingungen und dem Qualifikationsniveau. Das bestätigen auch Analysen aus anderen Ländern. Unter den Berufseinsteiger:innen ist die Quote der Arbeiter:innen höher als in anderen Altersgruppen. Auch die Quote der Arbeitnehmer:innen mit geringen Entscheidungsmöglichkeiten im Job ist höher als in anderen Altersgruppen. Beide Besonderheiten dieser Altersgruppe stehen auch in anderen Altersgruppen für höhere Krankenstandshäufigkeiten.
Auch zeigen die durchgeführten Analysen insgesamt einen besseren Gesundheitszustand in der Gruppe der 15- bis 29-Jährigen als bei den 30- bis 39-Jährigen, wobei die Jüngeren eine höhere Krankenstandsquote aufweisen. Die Krankenstandsquote hängt offensichtlich nicht allein vom Gesundheitszustand der Beschäftigten ab, sondern auch vom Gesundheitsverhalten und davon, wie gut die Arbeitsplätze zu den individuellen Fähigkeiten und Bedürfnissen passen. Zudem spielt die Arbeitsumgebung eine wichtige Rolle: Eine unterstützende und gesundheitsfördernde Arbeitskultur kann die Krankenstandsquote senken, unabhängig vom allgemeinen Gesundheitszustand der Beschäftigten. Dies unterstreicht die Notwendigkeit frühzeitiger Maßnahmen zur Gesundheitsförderung und Prävention.
„Der diesjährige Schwerpunkt zeigt eine andere Krankenstandssituation bei Jugendlichen und Lehrlingen und insbesondere ein anderes Risikoverhalten jüngerer Männer. Hier sollte bereits so früh wie möglich auf Prävention gesetzt und ein Bewusstsein für gesunde Lebensweisen geschaffen werden“, betont auch der Abteilungsleiter für Sozial- und Gesundheitspolitik in der Wirtschaftskammer.
Neuere Arbeiten zeigen, dass bei Jugendlichen mit einer schlechteren psychischen Gesundheit ein statistischer Zusammenhang mit der täglich vor Bildschirmen im Internet oder am Smartphone verbrachten Zeit festgestellt werden kann. Das unterstreicht nochmals die Wichtigkeit für Maßnahmen zur Stärkung der digitalen Gesundheitskompetenz auf breiter Ebene.
„Die höheren Krankenstände der jüngsten Beschäftigtengruppe haben auch mit den besonders niedrigen Entscheidungsbefugnissen in dieser Arbeitnehmer:innen-Gruppe und damit tendenziell eher etwas schlechteren Arbeitsbedigungen zu tun. Die Sozialversicherung setzt sich mit der Betrieblichen Gesundheitsförderung bereits stark für gesunde Arbeitsbedingungen auch für Lehrlinge und junge Erwerbstätige ein. Deshalb werden in den Projekten auf Betriebsebene immer die Betriebsrät:innen eingebunden. Auch die Jugendvertrauensrät:innen sollen hier eine größere Rolle bekommen. Schon im Setting Schule ist die Sozialversicherung aktiv und setzt viele Maßnahmen für die Gesundheit junger Menschen, besonders was die Stärkung der Gesundheitskompetenz betrifft. Wir müssen hier insgesamt gemeinsam besser werden, gute Rahmenbedingungen schaffen und die jungen Menschen stärken“, unterstreicht Andreas Huss.
Wolfgang Panhölzl wendet bezogen auf die jungen Erwerbstätigen ein, „Alarmierend ist auch das Krankheitsgeschehen von jungen Erwerbstätigen. 8,2 Prozent der 15-29-jährigen Männer waren 2023 wegen Muskel- und Skeletterkrankungen im Krankenstand, psychische Erkrankungen weisen auch bei den Jungen die höchste Dauer auf und rund ein Fünftel der jungen Erwachsenen treten mit Übergewicht bzw. Adipositas ins Erwerbsleben ein. Die AK fordert ein Präventionsgesetz, das die Verantwortung und die Finanzierung für Prävention bei Bund, Ländern und Sozialversicherung festlegt. Die Erfahrung zeigt, wenn sich Krankheiten bei Kindern und Jugendlichen manifestieren, bleiben sie auch bei Erwachsenen erhalten, führen in vielen Fällen zu Invalidität und kürzerer Lebenserwartung.“
„Die österreichische Wirtschaft ist stark auf das hohe Wissen und Können ihrer Erwerbstätigen angewiesen und stellt damit einen wichtigen Wettbewerbsfaktor im internationalen Kontext dar. Die Gesundheit der Arbeitskräfte spielt eine zentrale Rolle für die Produktivität und Innovationsfähigkeit Österreichs. Um die Leistungsfähigkeit der österreichischen Wirtschaft nachhaltig zu sichern, müssen Schulen, Betriebe und Gesellschaft verstärkt in die Erhaltung und Förderung der physischen und psychischen Gesundheit der Erwerbstätigen und Kinder investieren, um die – wie der neue Fehlzeitenreport zeigt –2023 gestiegenen Krankenstände zu dämpfen, ergänzt Christine Mayrhuber.
Fehlzeiten-Dashboard zur Abbildung des Krankenstandsgeschehens
Um das Krankenstandsgeschehen in Österreich in Zukunft noch besser und zeitaktueller abbilden zu können, hat die Sozialversicherung das sogenannte „Fehlzeiten-Dashboard“ entwickelt. Das Fehlzeiten-Dashboard liefert einen Überblick über die Entwicklung und Verteilung der krankheitsbedingten Fehlzeiten in Österreich ab 2020 und wird jährlich Mitte April aktualisiert. Darin ersichtlich ist unter anderem die Entwicklung der Krankenstände nach Geschlechtern, Branchen und Krankheitsgruppen. Eine historische Betrachtung sowie weitreichende Analysen und Erkenntnisse zu unterschiedlichen Schwerpunkten finden sich im Fehlzeitenreport selbst. Unter www.dashboards.sozialversicherung.at/fehlzeiten erhält man Zugriff zum neuen Fehlzeiten-Dashboard