„Dass die klinische Psychologie Gedankenunterdrückung negativ bewertet, liegt am historischen Standpunkt Freuds, wonach unterdrückte Inhalte bestehen bleiben und uns unbewusst beeinflussen“, schreiben Zulkayda Mamat und Michael Anderson von der Universität Cambridge in der Studie, die soeben im Fachjournal „Science Advances“ erschienen ist. Diese Ansicht wollen sie erschüttern – und begeben sich damit in die Widersprüche verschiedener psychologischer Traditionen.
Verdrängung vs. Unterdrückung
Das beginnt schon bei der Wahl der Begriffe: Freuds „Verdrängung“ wurde im Englischen mit „repression“ übersetzt – „Repression“ hat es dann wieder zurück ins Deutsche geschafft. Dieser Begriff kommt in der aktuellen Studie außer im historischen Bezug auf Freud gar nicht vor; stattdessen „suppression“, mit dem der Autor und die Autorin wahlweise Verdrängung und Unterdrückung meinen. Inhaltlich sind beide Begriffe verwandt, unterscheiden sich aber auch: Freuds Verdrängung meint einen unbewussten Abwehrmechanismus, der negative Gedanken, Gefühle oder Erlebnisse aus dem Bewusstsein drängt. Diese können aber über Umwege quasi wieder an die Oberfläche kommen – in Träumen etwa oder in Symptomen von Krankheiten. Verdrängung ist deshalb ein „normaler“ Vorgang, kann aber auch krank machen. Eine Meta-Analyse aus dem Jahr 2012 etwa kam zu dem Schluss, dass „gute Verdränger“ ein höheres Risiko für Krebs und Bluthochdruck haben.
Traning gegen schlechte Gedanken
Die Unterdrückung negativer Emotionen hingegen geschieht gezielt, willentlich und bewusst – und genau diese Aktivität hat Studienautor Michael Anderson bereits 2001 in einer Studie bei Versuchen untersucht. Die unbewussten Momente des Verdrängens schob er dabei beiseite und ließ die Teilnehmerinnen und Teilnehmer das Verdrängen bewusst üben. Ergebnis: Verdrängen ist erlernbar, wie damals auch der Titel eines science.ORF.at-Artikels lautete. Über 20 Jahre später setzt Anderson diese Gedankenlinie nun fort und schließt: Negative Gedanken zu unterdrücken sei nicht nur erlernbar, sondern könne sich auch sehr positiv auf die Psyche und damit auf das allgemeine Wohlbefinden auswirken.
„Wir reden dabei aber nicht davon, sich einfach so von den negativen Gedanken abzulenken, denn dann kommen sie natürlich oft wieder zurück. In unserer Untersuchung ging es eher darum, sich aktiv mit den negativen Gedanken und Szenarien zu beschäftigen und gezielt zu trainieren, nicht an sie zu denken. Man setzt sich dabei also durchaus auch enger mit dem negativen Thema auseinander“, erklärt die Doktorandin Zulkayda Mamat gegenüber science.ORF.at.
Pandemie psychischer Probleme
Im Rahmen der Untersuchung rekrutierten Mamat und Anderson 120 Probandinnen und Probanden aus insgesamt 16 Ländern und führten verschiedene Tests mit ihnen durch. Ausgangspunkt war der Beginn der CoV-Pandemie im Jahr 2020. Mamat wollte in dieser für viele Menschen sehr angsteinflößenden Zeit herausfinden, ob sich das Unterdrücken negativer Gedanken auch auf die psychische Gesundheit der Probandinnen und Probanden auswirkte. „Es kam zu dieser Zeit klar zu einer Krise, was die mentale Gesundheit angeht und damit auch einer Art versteckten Pandemie psychischer Probleme, die immer schlimmer wurde. Wir wollten daher klären, ob wir den Menschen dabei helfen können, diese schwierige Zeit besser zu bewältigen“, so Mamat.
Alle 120 Probandinnen und Probanden wurden dazu aufgefordert, sich verschiedene Szenarien auszumalen – 20 negative „Ängste und Sorgen“, die sie im Untersuchungszeitraum beschäftigten, 20 positive „Hoffnungen und Träume“ und 36 neutrale Situationen, die im Alltag vorkommen, dabei aber nicht mit einer speziellen Emotion in Verbindung stehen. „Gerade bei den negativen Szenarien war es wichtig, dass es sich um etwas handelte, was die Personen in der Zeit gerade besonders beschäftigte und beunruhigte“, so Mamat. Viele der ausgemalten negativen Szenarien hatten daher etwas mit der CoV-Pandemie zu tun.
Als klar negatives Szenario galt dabei etwa der Besuch der wegen einer CoV-Erkrankung hospitalisierten Eltern oder Großeltern. Als ein Beispiel für ein positives Szenario nennt Mamat hingegen die Hochzeit der eigenen Schwester und als neutrale Ereignisse galten zum Beispiel der Besuch beim Optiker oder das Erledigen des Wocheneinkaufs.
Gezieltes Unterdrücken trainiert
Die Probandinnen und Probanden mussten die fiktiven Szenarien daraufhin unter Berücksichtigung mehrerer Faktoren bewerten. Dazu gehörten Dinge wie die Wahrscheinlichkeit, dass die Situation tatsächlich eintritt, wann es dazu kommen könnte, die Lebendigkeit der eigenen Gedanken zu dem Thema, wie groß die Angst oder Freude war, wenn sie an die Szenarien dachten und auch wie häufig sie über die Situation generell nachdachten. Außerdem mussten sie mehrere Fragebögen über ihre mentale Gesundheit ausfüllen.
In mehreren 20-minütigen Online-Gesprächen wurden die Probandinnen und Probanden danach drei Tage lang darauf trainiert, die zuvor ausgedachten Szenarien gezielt zu unterdrücken. Eine Gruppe sollte dabei die negativen Situationen unterdrücken, eine andere Gruppe zum Vergleich die neutralen.
Am Ende des dritten Tages und noch einmal drei Monate später wurden die Probandinnen und Probanden erneut gebeten, die Szenarien zu bewerten und neue Fragebögen über ihre psychische Gesundheit auszufüllen.
Harmloser und weniger bedrückend
Es zeigte sich, dass jene die negativen Szenarien deutlich harmloser einschätzten, die sie zuvor mehrmals gezielt aus ihren Gedanken verbannt hatten. „Die ausgemalten Events waren danach viel weniger angsteinflößend und bedrückend für diese Personen, ihre mentale Gesundheit und ihr Wohlbefinden verbesserten sich generell“, so Mamat. „Die größten Effekte sahen wir bei den Probandinnen und Probanden, die schon zu Beginn der Studie mit ihrer mentalen Gesundheit zu kämpfen hatten und bei denen es bereits dementsprechende Probleme gab.“
Auch bei der Folgeuntersuchung nach drei Monaten waren die positiven Effekte der gezielten Unterdrückung noch deutlich zu sehen. Die meisten Probandinnen und Probanden gaben dabei an, viel seltener an die besorgniserregenden Szenarien zu denken und berichteten von einer Verbesserung ihrer mentalen Gesundheit – am stärksten bei Angstzuständen und posttraumatischem Stress in Folge der Pandemie. Keine Hinweise gab es hingegen darauf, dass sie etwa im Sinne von Freuds Verdrängung, irgendwann von den unterdrückten Gedanken eingeholt wurden.
“Aktives Unterdrücken potenziell von Vorteil“
„Unsere Ergebnisse stehen in direktem Widerspruch zu den allgemeinen Annahmen über die Verdrängung“, erklärt Mamat, die hinzufügt: „Auch, wenn noch weitere Forschung auf dem Gebiet nötig ist, scheint es durchaus wahrscheinlich, dass das aktive Unterdrücken negativer Gedanken potenziell von Vorteil ist.“
Trotzdem ist es laut der Doktorandin wichtig klarzustellen, dass die Unterdrückung negativer Gedanken nicht in jeder Situation sinnvoll ist. „Wenn es zum Beispiel um eine Angst geht, gegen die ich etwas unternehmen kann, etwa in Form von einer Konfrontationstherapie oder ähnlichen in der Psychotherapie verbreiteten Techniken, dann bringt das wahrscheinlich mehr, als die Gedanken daran zu verdrängen. Wenn es aber um Dinge geht, gegen die ich tatsächlich machtlos bin – etwa eine Pandemie – kann mir das gezielte Unterdrücken der negativen Gedanken potenziell helfen.“