Die Österreicher schlafen immer schlechter – und das dürfte sich so bald nicht ändern, befürchten Schlafforscherinnen und -forscher. Die Pandemie, der Klimawandel, die hohe Teuerungsrate und der Krieg in der Ukraine bereiten den Menschen Sorgen, und Sorgen halten wach. Es gibt jedoch Tipps, die helfen.
„Oft ist es die Angst vor der Angst, nicht schlafen zu können. Wie wird das morgen, wenn ich jetzt nicht schlafen kann?“ David Bauer – Name von der Redaktion geändert – liegt mehrmals die Woche zwei, drei Stunden lang wach, bevor er einschläft. Beruflich muss er viel vor Publikum sprechen, muss präsent und fit sein.
Die Gedanken kreisen darum, möglicherweise nicht einschlafen zu können, und führen erst recht zum unerwünschten Ergebnis. Ein Teufelskreis, den viele kennen: Etwa ein Viertel der Menschen in Österreich leidet an Ein- und Durchschlafstörungen, sagt Gerhard Klösch, Schlafforscher an der MedUni Wien.
Die Psyche hält wach
Klösch erzählt, dass Betroffene oft enttäuscht sind, wenn sie zu ihm ins Schlaflabor im Wiener AKH kommen. Sie erwarten sich, dass dort körperliche Ursachen für ihre Schlafprobleme gefunden werden. Doch in den meisten Fällen ist es die Psyche, die Menschen nicht schlafen lässt.
45 Prozent der Schlafprobleme sind auf persönliche und berufliche Probleme zurückzuführen, 22 Prozent auf unverarbeitete Tageseindrücke und nur zwölf Prozent auf körperliche Erkrankungen. Daneben gibt es noch andere Faktoren wie störende Geräusche, Schmerzen oder dass man sich während der Schlafenszeit um Kinder oder Kranke kümmern muss.
Vom erholsamen Lockdown zur Coronavirus-Müdigkeit
„Im Moment erleben wir die Krise in der Krise“, sagt Brigitte Holzinger, Schlafcoach und Schlafforscherin. Die CoV-Krise ist noch nicht vorbei, die Klimakrise spitzt sich immer mehr zu, heuer kamen der Ukraine-Krieg, die Inflation und die steigenden Energiepreise dazu. Das beeinflusst den Schlaf.
Dabei hatte die Pandemie zunächst sogar positive Auswirkungen auf den Schlaf, sagt Holzinger: „Die Menschen hatten den Eindruck, dass sie endlich wieder schlafen konnten. Die Schlafqualität hat sich deutlich verbessert, weil sich viele Menschen den Schlaf im ersten Lockdown selbst einteilen konnten.“ Das ergab eine Studie, die Holzinger und Klösch im Frühling 2020 durchgeführt haben.
Mehr Alpträume und Ängste
„Aber je länger die Pandemie angedauert hat, desto mehr hat sich die Situation verschlechtert: Schlafstörungen haben sich verdoppelt, Alpträume und Ängste haben zugenommen“, sagt Holzinger. Nicht zu wissen, wie es weitergeht, Angst um die Gesundheit oder um den Job – es waren vor allem Zukunftsängste, die den Schlaf raubten. Laut einer Umfrage der Paris Lodron Universität Salzburg haben sich auch die Schlafprobleme von Kindern und Jugendlichen im Jahr 2021 fast verdoppelt.
Studienautorin Kathrin Bothe dazu: „Am gravierendsten waren die Veränderungen bei den Sechs- bis Zehnjährigen. Je größer die Angst vor der Situation mit Corona war, desto eher haben sie von Ein- und Durchschlafstörungen und von Alpträumen berichtet. Bei den Jugendlichen hat ein unregelmäßiger Schlafrhythmus unter anderem zu mehr Tagesschläfrigkeit geführt.“ Bei den Umfragen handelt es sich um Selbsteinschätzungen, bei denen das Schlafverhalten vor der Krise in der Rückschau abgefragt wurde, weil direkte Vergleichsdaten aus der Zeit vor 2020 fehlen. Auch ob sich die CoV-Krise dauerhaft oder nur kurzfristig auf das Schlafverhalten ausgewirkt hat, bleibt noch abzuwarten.
Krieg und Krise als Faktoren
Bei Bauer war es vor allem das Homeoffice, das die Schlafstörungen verstärkt hat: „Mir ist dann erst aufgefallen, wie wichtig eigentlich der Weg in die Arbeit ist. Ich habe mich dadurch regelmäßig bewegt, aber er war auch wichtig, um mich vom Privatleben zu distanzieren und Zeit zu haben, mich auf die Arbeit einzustellen. Im Homeoffice fand ich es schwierig, die berufliche Welt von der privaten zu trennen.“
Heuer im Februar sind dann noch zwei Faktoren dazugekommen: „Ich hatte gerade einen neuen Job angefangen, das war eine Herausforderung, und dann ist der Krieg in der Ukraine ausgebrochen.“ Bauer hat Verwandte in Kiew. „Das hat einiges an Unruhe mit sich gebracht, vor allem der Schock, als der Krieg ausgebrochen ist. Die Bilder immer zu konsumieren tut nicht so gut.“
Auch Klima als Teil der Sorgen
Die Nachrichtenlage kann den Schlaf rauben, besonders wenn sie einen persönlich betrifft bzw. betreffen könnte. Holzinger kann das in ihrer Praxis als Schlafcoach beobachten: „Kann ich in Zukunft die Stromrechnung noch bezahlen? Was passiert mit meinem Job, wenn wir in eine Rezession schlittern? Oder: Kommt der Krieg bis zu uns? All das sind Themen, wenn es um den Schlaf geht.“ Auch die Sorge ums Klima wird immer mehr Thema.
Klösch ergänzt: „Schlafräuber sind Dinge, bei denen ich als Betroffener das Gefühl habe, ich kann sie nicht beeinflussen, ich bin dem schutzlos ausgeliefert. Hilflosigkeit ist eines der Grundübel für schlechten Schlaf.“ Bauer erzählt, dass es wichtig war, einen aktiven Weg zu suchen, um die Hilflosigkeit loszuwerden: Verwandte bei sich aufzunehmen, Spenden zu sammeln, eine ukrainische Familie zu unterstützen. „Meine Frau und ich haben dann auch aufgehört, ständig Liveticker zu verfolgen. Distanz zu schaffen war auch wichtig.“
Problem wird weiter wachsen
Finanzielle Sorgen hat Bauer nicht, aber für viele andere werden die Inflation und steigende Energiekosten zum Problem. Studien über das Schlafverhalten 2022 gibt es noch nicht, sagt Schlafforscher Klösch, aber: „Wir wissen aus früheren Studien, wie sich derartige Belastungssituationen auf den Schlaf auswirken, daher gehen wir davon aus, dass die Klagen über nicht erholsamen Schlaf in den nächsten Umfragen deutlich zunehmen werden.“
Schlaf ist auch eine Frage der sozialen Absicherung: „Es hat sich gezeigt, dass alleinerziehende Mütter besonders gefährdet sind, mit Schlafproblemen auf diese Krisensituation zu reagieren.“ Dabei gehe es um die ökonomische Situation, aber für den Schlaf sei auch relevant, ob ein soziales Netzwerk vorhanden ist, das beispielsweise bei der Kinderbetreuung unterstützt, oder nicht.
Zeit zum Verarbeiten
Schlaf ist aber auch eine Sache der Persönlichkeit, sagt Klösch: „Ein fundamentaler Optimismus und eine aufgeschlossene Haltung dem Leben gegenüber sind ein sehr protektiver Faktor für den Schlaf. Umgekehrt haben Personen, die sich unabhängig von der Lebenssituation übertrieben ängstigen, einen schlechteren Schlaf.“
Und auch der Lebensstil einer Gesellschaft ist relevant, sagt Kerstin Hödlmoser, Schlafforscherin an der Paris Lodron Universität Salzburg: „Unabhängig von aktuellen Krisensituationen kann man erkennen, dass sich etwas verändert hat und dass in den letzten Jahren insgesamt häufiger von Einschlafproblemen berichtet wird.“
Sie geht davon aus, dass es Veränderungen im Alltagsverhalten sind, die dazu geführt haben: „Mehr als ein Drittel hat das Handy noch im Bett dabei. Wir sind dadurch permanent abgelenkt und mit einer gewissen Reizüberflutung konfrontiert – bis zu dem Moment, wo wir die Augen zumachen. Wenn wir dann erst beginnen, die Eindrücke zu verarbeiten, ist es klar, dass wir länger zum Einschlafen brauchen.“
Hödlmoser rät dazu, sich tagsüber bewusst Zeit zum Verarbeiten von neuen Informationen und Eindrücken zu nehmen. Auch dass sich viele im Alltag weniger bewegen als früher, kann eine Ursache für schlechteren Schlaf sein. Denn Bewegung regt die Produktion des Schlafhormons Melatonin an.
Schlaf ist eine Sache der Gewohnheit
„Beim Schlaf darf man auch den Aspekt der Gewohnheit nicht unterschätzen. Um die Gewohnheiten zu ändern, ist es sinnvoll, mit einer Art Training anzusetzen“, sagt Holzinger. Sie ist nicht nur selbst als Schlafcoach tätig, sondern bildet im Universitätslehrgang Medizinisches Schlafcoaching an der MedUni Wien auch Schlafcoaches aus. Das Konzept basiert auf therapeutischen Ansätzen, bei denen einerseits der biographische Hintergrund, die Lebensrealität und die Probleme der Menschen miteinbezogen werden, andererseits guter Schlaf und Entspannungstechniken „trainiert“ werden.
Bauer nimmt Schlafcoachingstunden bei Brigitte Holzinger. Ihm gefällt, dass „die Schlafprobleme von mehreren Seiten angegangen werden und dass mir mehrere Stellschrauben aufgezeigt werden, wo ich ansetzen kann. Meine Schlafprobleme sind immer noch da, aber ich kann besser damit umgehen. Ich weiß, wo ich ansetzen kann, wenn sie wieder auftauchen, um sie schneller in den Griff zu bekommen.“
Regelmäßige Schlafenszeiten als Hilfe
Holzinger rät ihren Klientinnen und Klienten, immer zur selben Zeit ins Bett zu gehen und aufzustehen, sofern das möglich ist: „Das ist eine unpopuläre Maßnahme – aber eine sehr wirksame.“ Regelmäßige Schlafenszeiten sind für die innere Uhr enorm wichtig, aber nicht jedem möglich: „Schichtarbeit, wie sie in Österreich praktiziert wird, macht auf Dauer krank.“ Holzinger berät auch Firmen, wie sie Schichtarbeit „schlaffreundlicher“ einteilen und gestalten können, und erwartet sich von der Politik andere Rahmenbedingungen für Schichtarbeit. Neben dem regelmäßigen Schlaf ist auch regelmäßige Bewegung wichtig, sagt sie: „Und das bei Tag im Freien. Denn das Tageslicht regt die Melatoninausschüttung am Abend an, und das ist wichtig fürs Einschlafen.“
Als dritte Maßnahme für guten Schlaf empfiehlt sie, die eigenen Träume aufzuschreiben: „Man beginnt sich dann immer besser an seine Träume zu erinnern, das verstärkt die Traumvorgänge und erleichtert es den Menschen, wenn sie im Bett liegen, sich aufs Träumen zu freuen, anstatt sich Sorgen darüber zu machen, was morgen passieren wird, wenn sie jetzt wieder nicht einschlafen können.“ Berechtigte Zukunftsängste verschwinden mit diesen Maßnahmen nicht, ebenso wenig persönliche Probleme, doch sie helfen auch in schwierigen Lebenssituationen, die Auswirkungen auf den Schlaf zu minimieren.