Das Coronavirus hat auch Teile der Arbeitswelt umgekrempelt, Büroräume durch Home-Offices ersetzt. Der Prozess, der auch die Arbeit verändert, hat schon früher begonnen, schreibt der Medienwissenschaftler Mathias Fuchs.
Die Covid-19 Situation ist der auffälligste, aber nur einer von vielen Faktoren, die deutlich machen, wie sich unsere Arbeitsumgebungen, die Arbeitsbedingungen und unser Verständnis darüber, was Arbeit ist, verändern. Lohnarbeit wird von den einen als sinnlos, als „ermüdend“ (Byung-Chul Han), oder als fälschlicherweise verherrlicht (Arendt) beschrieben, von anderen als zwiespältig „herrlich, deprimierend“ (Brandon), und von wieder anderen gar als „spielerisch“ (MacGonigal, Werbach & Hunter) gelobt.
Nach dem Abschied vom klassischen Büro mit seinen imposanten Schreibtischen, Fax-Maschinen, Sekretärinnen, Weltkarten und Gegensprechanlagen zeichnen sich neue Arbeitsumgebungen ab. Start-Up-Unternehmen rüsten die Büroräume mit Tischtennistischen und Flipper-Automaten aus. Die großen Firmen des Silicon Valley entwerfen „kreative“ Kommunikationsumgebungen, die mit Rutschbahnen, Schaukeln und bunten Sofas ausgerüstet sind. Die Home-Offices schließlich stellen die privatisierten Versuche dar, sich die Arbeit zwischen Kindern, Kochen und Aufräumtätigkeiten einzurichten.
Über den Autor
Mathias Fuchs ist Privatdozent an der Lüneburger Leuphana Universität und aktuell Senior Fellow am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften | Kunstuniversität Linz in Wien.
Der Schreibtisch – auf Französisch le bureau – und mit ihm gleich das ganze Büro, die klassischen Office Spaces und die Idee ortsgebundener und wohlgeordneter Arbeitsumgebungen durchleben eine Krise. Bereits 1999 spürte Friedrich Kittler den Todesatem der ins Alter gekommenen Bürokultur.
„Nirgendwo steht schließlich geschrieben, dass der Inhalt des Mediums Computer immerfort Büros, Office usw. heißen muss. Gerade weil das trügerische Versprechen eines papierlosen Büros längst geplatzt ist, besteht die sehr andere Hoffnung, dass auch die Herrschaft der Schreibtische eines Tages Episode gewesen sein wird. Historiker schreiben dann womöglich von keiner Neuzeit mehr, sondern (wie bei Leitfossilien üblich) von der Schreibtischära.“
Dass Kittlers „Leitfossil“ des klassischen Präsenzbüros geradezu biologisch durch einen Virus zur Strecke gebracht werden könnte, konnte der Germanist zum Ende des letzten Jahrhunderts nicht ahnen. Der Zwang zur Heimarbeit ist jedoch nicht nur durch pandemiebedingte Sachzwänge zu erklären. Das sogenannte „Home-Office“, das genau betrachtet kein Büro darstellt, sondern eine multifunktionale Arbeits- und Reproduktionsmaschine, in der Kinderbetreuung, Videokonferenzen, Essenszubereitung und Putzdienste räumlich und personell integriert werden, wird von verschiedenen Notwendigkeiten befördert.
Gewinne werden privatisiert, Verluste sozialisiert
Für Unternehmer bedeutet die Verhängung des Heimarbeitszwanges eine Minimierung der Fixkosten. Heizkosten, Telekommunikationsgebühren, Reinigungskosten der Büroräume und Anschaffungskosten für Geräte und Infrastruktur werden dem Unternehmen erspart – und auf die Mitarbeiter abgewälzt. Hier geschieht, was Karl Marx einmal Sprichwort-ähnlich als Maxime formulierte: „Gewinne werden privatisiert, Verluste sozialisiert.“
Viele von uns richten sich darauf ein, Arbeitsnischen in der eigenen Wohnung einzurichten, die gut vernetzt, büroähnlich, semi-privat und kostenintensiv das ersetzen, was im klassischen Büro einst als vorgegeben und selbstverständlich galt: Ein Arbeitsraum, der geschützt von den Anforderungen des Privatlebens ein Ort der Produktivität sein kann. Aber wie können wir mit diesen veränderten Arbeitsumgebungen umgehen? Bieten sich Aussichten auf eine Arbeit, die familiäre Verpflichtungen, industrielle Rationalität und möglicherweise sogar kreative Selbstverwirklichung in eins formen kann und gleichzeitig jenseits des Nachbildes materieller Plackerei liegt?
Verändert der Auszug aus den Büros unser Wohlbefinden? Erhöht die Tag- und Nachtarbeit aus unseren vier Wänden, die wir zur flexiblen Arbeit im Home-Office aufwerten sollen, unsere Produktivität, wie das eine Studie der Olivet Universität von 2009 Arbeitern nachzuweisen glaubt? (November 2019, Durchschnittsalter der Befragten 37 Jahre, 55% weibliche Befragte und 45% männlich) Wir kennen aus Werbebroschüren und von Plakaten Abbildungen, in denen sonnengebräunte junge Menschen mit dem Laptop auf den Oberschenkeln vor Swimmingpools sitzen und entspannt ihre scheinbar mühelose Arbeit verrichten. Diese Bilder, die als Vorbilder gedacht und entworfen sind, lenken davon ab, wie sich Heimarbeit unter erschwerten finanziellen und sozialen Bedingungen oft vollzieht.
Ist der Verlust eines privaten Büros mit all den Annehmlichkeiten eines zugesicherten Platzes für Ruhe, Kontemplation, Präsentation, Arbeitsmittel, Arbeitsmaterialien und stets verfügbaren Infrastruktur nicht mehr als eine über uns verhängte Last?
Der Kommissar im „Nicht-Büro“
Werfen wir an dieser Stelle einen Blick auf die Arbeitsbedingungen einer Berufsgruppe, die von den Medien idealisiert wird, die aber wie viele andere Berufsgruppen einer Transformation ihrer Arbeitsbedingungen unterliegt: Privatdetektive, Kommissare, Special Investigators. Wir kennen die Büroräume Sam Spades aus dem Film Der Malteserfalke (John Huston 1941), der Humphrey Bogart als Detektiv und klugen, wenn auch potentiell korrupten, Ermittler darstellt. Nicht die Straße allein, sondern das Büro, in dem sich Arrangements, Intrigen und Abmachungen abschließen lassen, spielt einen wesentlichen Raum in der Erzählung.
„Privatdetektive, diese Leitfossilien des Modernisierungsprozesses, leben in Büros. Das Büro spiegelt den Habitus des Privatdetektivs: die unentwirrbare Verschmelzung seines individualistischen und seines öffentlichen (politisch korrekten) Erscheinungsbildes. Das Biotop des Privatdetektivs ist sein Büro. Dorthin zieht er sich zurück, dort denkt er nach, dort wird er überfallen, dort trifft oder entlarvt er seine Klienten.“
Die Zitate von Friedrich Kittler und Thomas Macho stammen aus dem Buch „Work & Culture. BÜRO. Inszenierung von Arbeit“, Ritter Verlag, Klagenfurt, 1999
Wie anders sieht die Arbeitsumgebung eines Ermittlers unserer Tage aus! ….
Selbstverständlich liegt in den neuen Arbeitsformen und in den neuen Arbeitsräumen auch eine Versprechung von Freiheit, Beweglichkeit und Freizeit. Doch hinter den bunten Wänden und Möbeln der Google-Offices und den wie Spielplätzen anmutenden Event- und Workspaces der Start-up-Gründungen liegt die Gefahr einer Vereinnahmung der Arbeitenden, die in den „fossilen“ Büros (frei nach Kittler) der geschützten Arbeitsräume weit entfernt lag. Home-Offices und Playoffices sind die Spielplätze, an denen neue Arbeitsbedingungen eingeübt werden.