Viertagewoche – Testlauf in GB

70 Unternehmen und insgesamt mehr als 3.300 Arbeiterinnen, Arbeiter und Angestellte: In Großbritannien ist diese Woche der weltweit größte Versuch gestartet, die Arbeitswelt mit einer Viertagewoche zu reformieren. Vom Fish-and-Chips-Restaurant bis zur großen Bank ist eine breite Palette an Firmen beteiligt. Ob das Konzept aufgeht, wird eine erste Bilanz nach Auslaufen des Projekts Ende des Jahres zeigen.

Die Ansprüche haben sich in der CoV-Pandemie geändert, viele Büroarbeitskräfte haben die Vorteile von Homeoffice – insbesondere Kosten- und Zeitersparnis durch das Wegfallen des Pendelns – während der Lockdowns schätzen gelernt. Und viele Firmen sehen in einer Arbeitszeitverkürzung ihrerseits ein mögliches Modell, um im derzeitigen Wettstreit um Arbeitskräfte das richtige Angebot bieten zu können.

 Das Pilotprojekt geht sechs Monate und wurde von der Organisation 4 Day Week UK auf die Beine gestellt. Unterstützt wurde sie dabei von 4 Day Week Global, einer vom Neuseeländer Andrew Barnes geleiteten NGO. Barnes gilt als Pionier der Viertagewoche. Er führte diese bereits 2018 bei seiner Finanz- und Immobilienfirma Perpetual Guardian ein. Das Ergebnis: mehr Produktivität, mehr Zufriedenheit und leichteres Anwerben neuer Mitarbeiter.

100:80:100-Modell

Basis des nun angelaufenen breiten Versuchs ist das „100:80:100-Modell“, das bedeutet: 100 Prozent Gehalt bei 80 Prozent Arbeitszeit und der Verpflichtung, 100 Prozent der Produktivität beizubehalten. Mit anderen Worten: die gleiche Leistung in weniger Zeit bei gleichem Gehalt. Wissenschaftlich begleitet wird der Versuch von den Universitäten Cambridge und Oxford und dem Boston College.

Die Bandbreite der Unternehmen reicht vom kleinen Restaurant, Baufirmen, Hautpflege über Softwarefirmen bis zu Steuerberatungsunternehmen und Banken – keineswegs nur in London, sondern auf viele britische Städte verteilt.

„Wettbewerbsvorteil verschaffen“

Joe O’Connor, Chef von 4 Day Week Global, sieht Großbritannien als Vorreiter: „Mit dem Überwinden der Pandemie erkennen immer mehr Firmen, dass die Lebensqualität das neue Kriterium bei der Wettbewerbsfähigkeit ist. Und sie erkennen, dass Stundenreduktion und Arbeiten, das sich an der Leistung orientiert, das Mittel sind, um ihnen einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen“, so O’Connor gegenüber dem „Guardian“.

Die Forscherinnen und Forscher werden bei jeder teilnehmenden Firma unter anderem die Auswirkungen der Viertagewoche auf Produktivität und das Wohlbefinden, die Berufschancen von Frauen und die Umwelt untersuchen. Im August starten weitere in Australien und Neuseeland. Weitere von der Regierung unterstützte Versuche mit einer Viertagewoche sind laut Euronews heuer in Spanien und nächstes Jahr in Schottland geplant. Bei beiden dürfte es um eine Reduktion von Zeit und Leistung gehen, und es dürfte eine zumindest teilweise finanzielle staatliche Abgeltung für die Firmen geben.

England als Pionier

England war als Mutterland der Industrialisierung auch das Land, in dem die Arbeiterbewegung entstand und – schrittweise – die brutale Ausbeutung durch das Erkämpfen von Arbeiterrechten verringerte.

„Historischer Versuch“

Die leitende Forscherin Juliet Schor vom Boston College sprach von einem „historischen Versuch“. Man werde analysieren, wie Angestellte bezüglich Stress, Burn-out, Zufriedenheit und Gesundheit auf einen zusätzlichen freien Tag reagieren. Die Viertagewoche werde allgemein als „Schritt mit drei positiven Effekten gesehen: gut für die Angestellten, für die Firmen und für das Klima“. Die Forschung werde sich alle diese Aspekte ansehen, so Schor.

Seit Jahren führen zunehmend einzelne Unternehmen weltweit – auch in Österreich – verschiedene Modelle einer Viertagewoche ein. Bei Beschäftigten ist das Konzept generell sehr beliebt: Laut dem Onlinemagazin Quartz präferierten in einer US-Umfrage mehr als 90 Prozent der Befragten eine Viertagewoche mit zehn Stunden täglicher Arbeitszeit gegenüber der klassischen Fünftagewoche mit je acht Stunden Mindestarbeitszeit. Das ist ein weiteres Modell für eine Viertagewoche – und unterscheidet sich von jenem im nun gestarteten britischen Versuch.

Heimischer Zwist über Arbeitszeit

In Österreich fordert die SPÖ von der Regierung, in einer ersten Phase Versuche zu starten. Sie tritt für ihr eigenes Modell ein: 20 Prozent weniger Arbeitszeit sollen von Staat, Unternehmen und Beschäftigten (Letztere in Form eines Gehaltsverzichts) zu je einem Drittel getragen werden. SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch sagte in einer Aussendung unter Verweis auf den britischen Versuch, dass in Österreich im EU-Vergleich besonders lange gearbeitet werde.

Dem widersprach umgehend die Wirtschaftskammer. Die reale Arbeitszeit – hierbei wird der Urlaub eingerechnet – liegt laut dem WKO-Experten Rolf Gleißner vielmehr unter dem EU-Schnitt. Die vom ÖGB abgelehnte Arbeitszeitgesetzreform von ÖVP und FPÖ ermögliche bereits eine Viertagewoche, sofern sich Unternehmen und Belegschaft einigen, so Gleißner. Eine Vorgabe der Politik, wie ein Betrieb die Arbeitszeit verteilt, lehnt Gleißner ab und verweist unter anderem auf auch am Samstag geöffnete Geschäfte.

Streit über Produktivität

Für den Wirtschaftswissenschaftler Jonathan Boys vom Arbeitsmarktinstitut CIPD ist für den Erfolg die Produktivität der Dreh- und Angelpunkt. „Bei der Umstellung von der Fünf- zur Viertagewoche geht ein Arbeitstag verloren – folglich auch Produktivität“, sagt er. „Die Frage ist doch: Arbeiten die Menschen so viel produktiver, um diesen Ausfall auszugleichen?“ Wenn das nicht der Fall sei, dann „können wir die Viertagewoche nicht ohne Wachstumseinbußen“ beibehalten, warnt er.

Aidan Harper, Autor des Buches „The Case for a Four Day Week“, sieht diese Frage schon beantwortet, und zwar positiv. Er hat einen Ländervergleich angestellt: „In Dänemark, Schweden, den Niederlanden wird weniger gearbeitet als in Großbritannien – die Produktivität ist aber höher“, sagt er. In Griechenland dagegen gebe es mit die längsten Arbeitstage in Europa – die Produktivität sei eher schwach.

Maßstab entscheidet über Erfolg

Egal, welche Variante konkret im Einsatz ist oder angedacht wird, der nunmehrige großangelegte Versuch dürfte jedenfalls neue Erkenntnisse liefern – darüber, inwieweit die darin gesetzten Erwartungen eingelöst werden und welche Schwierigkeiten und Nachteile damit verbunden sind. Schon jetzt lässt sich sagen: Das wird entscheidend davon abhängen, welchen Maßstab man anlegt.