Long Covid – „jahrelang“

Für die im Fachmagazin „eClinicalMedicine“ veröffentlichte Studie wurden 106 Long-Covid-Betroffene – zum Großteil Frauen – zu drei Zeitpunkten im Abstand von mehreren Monaten umfassend medizinisch untersucht. Eine Erholung dauert demnach im Schnitt desto länger, je schwerer die CoV-Infektion verlief. Bei viele gehen die Beschwerden demnach innerhalb eines Jahres zurück – das gilt jedoch nicht für alle Erkrankten.

„Leider zeigen unsere Daten, dass Post-Covid-Betroffene mit schwerer Fatigue auch mehr als eineinhalb Jahre nach ihrer Infektion noch immer krank sind“, erklärte Studienautorin Judith Bellmann-Strobl in einer Aussendung der Charité. Nur bei der Hälfte von ihnen – die nicht das Vollbild des Chronischen Fatigue-Syndroms (CFS) zeigten – zeichne sich eine langsame Besserung zumindest einiger Symptome ab.

Wenn drei Monate nach einer SARS-CoV-2-Infektion noch immer gesundheitliche Beschwerden bestehen, die über mindestens zwei Monate anhalten und nicht anderweitig zu erklären sind, spricht man vom Post-Covid-Syndrom (PCS). Die Symptome sind insgesamt heterogen, viele Betroffene haben Atembeschwerden, können sich schlecht konzentrieren und sind kaum belastbar.

Besonders oft berichten PCS-Erkrankte von einer bleiernen Erschöpfung, die sich durch normale Erholung kaum beheben lässt: die sogenannte Fatigue. Häufig können diese Menschen den Alltag kaum noch bewältigen und leichte Anstrengung verschlechtert den Zustand, man spricht von Belastungsintoleranz. Frauen trifft es deutlich häufiger als Männer.
Handkraft ist wichtiges Prognosewerkzeug

Die Forscherinnen und Forscher machten in der Studie eine Beobachtung, mit der sich künftig möglicherweise der Krankheitsverlauf bei Long-Covid-Erkrankten abschätzen lässt: Je mehr Kraft die Patientinnen und Patienten demnach zu Beginn der Erkrankung in der Hand hatten, desto geringer ausgeprägt waren ihre Symptome bis zu 20 Monate später.

Die Handkraft sei nicht nur ein Parameter für die Schwere der Erkrankung zu Beginn gewesen, sondern habe auch vorhersagen können, wie sich die CFS-Erkrankung weiter entwickeln werde, erklärte Carmen Scheibenbogen, Studienautorin und Leiterin des Charité Fatigue Centrums. „Bevor wir die Handkraft allerdings prognostisch nutzen können, müssen wir ihre Aussagekraft mit weiteren Studien bestätigen“, ergänzte sie.

In Europa leben nach aktuellen Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO etwa 36 Millionen Menschen mit Long-Covid. Die meisten davon sind laut Scheibenbogen in ihrem Alltag eingeschränkt und können kein normales Leben mehr führen. Die Studie zeige nun, dass die meisten CFS-Erkrankten „anhaltend schwer krank sind“.

Die Medizinerin forderte deshalb neben der intensiven Suche nach wirksamen Therapien Versorgungseinrichtungen, in denen die Betroffenen „auf Basis aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse und klinischer Erfahrung multidisziplinär“ betreut werden.

Post-Covid-Syndrom eher selten

Beim größten Teil der Covid-19-Patienten heilt die Infektion schnell vollständig aus. Ein Teil der Betroffenen leidet aber zunächst an einem Post-Covid-Zustand (länger als vier Wochen nach der Infektion). Nur ein geringer Prozentsatz hat ein echtes Post-Covid-Syndrom. Rund drei Prozent der von der Akuterkrankung Genesenen benötigen schließlich umfassende Hilfe. Das erklärten Expertinnen und Experten gestern beim Österreichischen Impftag in Wien.

Abgeschlagenheit, Schlaf- und Konzentrationsstörungen, Schwindel, Kopfschmerzen, Atemnot, Riech- und Geschmacksverlust etc. sind häufige Beschwerden bei Menschen, die sich von einer Covid-19-Erkrankung schlecht bis kaum erholen. Hier gibt es ein Kontinuum von leichten bis sehr schweren Beeinträchtigungen. Was zu Beginn Long Covid genannt wurde, wird mittlerweile in der Medizin durch Post-Covid mit immer genaueren Definitionen ersetzt.

Bis zu vier Wochen nimmt man eine „normal“ erscheinende Zeit bis zur vollständigen Erholung als mögliche Akutphase von Covid-19 an. Von „anhaltenden Symptomen“ spricht die österreichische Leitlinie für Ärzte bei Problemen im Zeitraum von vier bis zwölf Wochen. Das Post-Covid-Syndrom bezeichnet nach einer Erkrankung anhaltende Probleme über mehr als zwölf Wochen hinweg ohne andere erkennbare Ursachen.

Pandemie und Psyche

Die CoV-Pandemie geht in ihr drittes Jahr und mit ihr das Gefühl, in einem endlosen Kreislauf gefangen zu sein. ORF.at hat bei der Psychologin Barbara Juen nachgefragt, wie der Ausbruch aus der Zeitschleife gelingen kann. Ein Patentrezept gibt es nicht – sehr wohl aber kleine Schrauben, an denen jede und jeder im Alltag drehen kann.

Die psychischen Belastungsfaktoren sind auch im dritten Jahr der Pandemie nicht weniger geworden. Omikron ist allgegenwärtig, in Österreich hat die Welle ihren Höhepunkt noch nicht überschritten. Angst und Frust, aber auch Hoffnung seien derzeit weitverbreitete Emotionen, beobachtet Juen, klinische und Gesundheitspsychologin an der Universität Innsbruck. „Die Angst, sich anzustecken. Der Frust, weil es immer noch nicht vorbei ist. Und teilweise die Hoffnung, dass es (Omikron, Anm.) eh nicht so schlimm ist“, fasst Juen zusammen.

Die Eigenschaften der Virusvariante – gerade in Bezug auf die Impfung – tragen zur Verwirrung vieler Menschen bei. Wer dreifach geimpft ist, für den ist das Risiko eines schweren Covid-19-Verlaufs mit Spitalsaufenthalt sehr stark verringert. Da Omikron die Antwort des menschlichen Immunsystems aber besser umgehen kann als die bisherigen Varianten, sind Geboosterte nicht vor einer Ansteckung gefeit. Und auch ein „milder“ Verlauf kann bei manchen trotz Impfschutzes mit deutlich spürbaren Symptomen wie starken Kopf- und Gliederschmerzen und Fieber einhergehen.

Schamgefühle bei den Infizierten

Das persönliche Risiko einer Infektion richtig einzuschätzen ist schwer bis unmöglich. „Dort, wo man die Kontrolle hat, kann man Sicherheitsmaßnahmen anwenden“, sagt Juen. In vielen Bereichen sei das aber nur sehr begrenzt möglich, etwa in der Arbeit. Besonders schwierig ist die Lage im Moment für Eltern, deren Kinder in die Schule oder den Kindergarten gehen. Die 7-Tage-Inzidenz bei den Fünf- bis 14-Jährigen liegt österreichweit bei deutlich über 4.500, an den Schulen funktioniert das PCR-Testsystem außerhalb Wiens nur eingeschränkt.

Verzwickt ist die Lage auch in der Freizeit. Vom Zusammensitzen im Kaffeehaus oder dem Training im Fitnessstudio würden viele Fachleute im Moment abraten. Auf der anderen Seite sind genau solche Aktivitäten für viele ein notwendiges Mittel gegen den Lagerkoller.

Auch wenn die Wahrscheinlichkeit, sich derzeit mit Omikron zu infizieren, hoch ist, ist eine tatsächliche Ansteckung für viele Betroffene mit Schamgefühlen verbunden. In solch einem Fall solle man sich jemanden suchen, mit dem man offen über seine Emotionen und Befürchtungen reden kann, rät Juen.

Das verlorene Zeitgefühl

Ein häufiges Phänomen im dritten Jahr der Pandemie ist der subjektive Verlust des Zeitgefühls. Viele Beschäftigte sind seit mehr als zwei Jahren großteils im Homeoffice, für Schülerinnen und Schüler und Studierende gab es lange Phasen des Fernunterrichts. Ein gutes Mittel dagegen ist laut Juen die Schaffung einer „Alltagsstruktur, die man auch relativ zwanglos durchhalten kann“. Das bedeutet: Jeden Tag um ungefähr dieselbe Uhrzeit aufstehen, einen Tagesrhythmus halten und „Sozialkontakte aktiv zu pflegen und sie nicht nur passieren zu lassen“.

Zudem helfe es, die Dinge einem detaillierteren Blick zu unterziehen. Juen zufolge heißt das, genau zu überlegen, wie die persönliche Lage vor einem Jahr und was sich seither verändert hat. Jede und jeder habe „wahnsinnig viel dazugelernt“. Diese Dinge gelte es zu würdigen.

Den „Blitzableiter“ spielen

Vor allem junge Menschen täten sich schwer mit Isolation und entwickelten früh Gefühle der Einsamkeit. „Besorgniserregend“ sei darüber hinaus, dass sich auch viele Menschen, die bereits an psychischen Problemen litten, aus Angst vor einer Infektion nun noch stärker isolieren.

Doch wie umgehen mit Menschen, die sich aufgrund der Lage immer weiter zurückziehen? Juen rät dazu, „unvoreingenommen“ zuzuhören. Bevor man Ratschläge gibt, sollte man das genaue Problem eruieren. „Einfach mal als Blitzableiter fungieren, ohne zu meinen, man muss jetzt etwas ändern“, sagt die Psychologin. Sie plädiert für aktive Beziehungsarbeit: „Immer wieder nachhaken, fragen, ob etwas gebraucht wird, was man tun kann. Und nicht zu schnell aufgeben.“

Angestellte zunehmend Aggression ausgesetzt

Die Kontrolle des 2-G-Nachweises im Handel führt zu vermehrten Fällen von Aggression gegenüber Beschäftigten. „Ein Großteil der Kundinnen und Kunden verhält sich ganz normal. Aber wir nehmen wahr, dass das Aggressionspotenzial zunehmend steigt“, sagte ein Sprecher der Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA) gegenüber ORF.at.

Das Problem bestehe vor allem dort, wo die Kundschaft männlich dominiert sei, etwa in Baumärkten. Ebenso zeige sich das Aggressionsproblem vermehrt dort, wo Personen in beruflicher Absicht hingehen – an Orten, zu denen also im Zuge der Berufsausübung auch Ungeimpfte mittels PCR-Test Zutritt erhalten. Das betreffe vor allem Großmärkte und Baumärkte, hieß es von der GPA. Konflikte entstünden oftmals unmittelbar nach der Aufforderung, einen PCR-Test vorzuweisen.

„Manche Angestellte haben Angst“

„Manche Handelsangestellte haben Angst, weil sie in einer Tour beschimpft werden“, so der GPA-Sprecher gegenüber ORF.at. Arbeitgeber hätten dafür „kreative Lösungen zu finden“, hieß es von der Gewerkschaft: Größere Geschäfte könnten etwa mit Securitys arbeiten, in Einkaufszentren könnten die Kontrollen der Nachweise bereits am Eingang erfolgen, womit Konflikte mit Handelsangestellten vermieden werden könnten. Bei kleineren und kleinen Geschäften würden die wenigsten Probleme gemeldet, hieß es von der Gewerkschaft.

Der Geschäftsführer des Handelsverbands, Rainer Will, berichtete von besonderen Auswüchsen: „Mittlerweile werden Aufklärungsgespräche heimlich per Smartphone gefilmt und auf Plattformen wie YouTube, TikTok oder Facebook hochgeladen. Natürlich ohne Einwilligung der betroffenen Beschäftigten, die nur den gesetzlichen Verpflichtungen nachkommen.“ Der Handelsverband erinnerte daran, dass das Recht am eigenen Bild ein Persönlichkeitsrecht sei. Jeder Missbrauch könne zivil- und strafrechtliche Konsequenzen haben.

Polizei „an der Seite des Personals“

Vom stellvertretenden Direktor des Bundeskriminalamts (BK), Manuel Scherscher, hieß es zum steigenden Aggressionspotenzial gegenüber Handelsangestellten: „Wir stehen hier als Polizei an der Seite des Personals in den Geschäften und schreiten auch konsequent ein, wenn wir gerufen werden. Auch Beschimpfungen und Beleidigungen können zu Anzeigen führen.“

Apropos Kontrollen der Polizei – hierzu gibt es aktuell im Zusammenhang mit der bevorstehenden Impfpflicht Diskussionen. Ab Mitte März soll der Impfstatus von der Polizei bei jeder Amtshandlung kontrolliert werden. Kritik daran kam nun von sozialdemokratischen und freiheitlichen Gewerkschaftern. Die Überwachung der Impfpflicht müsse hauptsächlich von Beamten der Gesundheitsämter durchgeführt werden, forderten die beiden Gewerkschafter Hermann Greylinger (FSG) und Werner Herbert (AUF) am Dienstag im Ö1-Morgenjournal.

Studien – wie Corona die Arbeitswelt verändert

Die Coronavirus-Pandemie ist Krise und Chance für die Arbeitswelt zugleich, sagen Organisations- und Zukunftsforscher, hat sie doch den Arbeitsalltag stark verändert. Laut einer Umfrage der Unternehmensberatung Deloitte planen 66 Prozent, der von ihr befragten Finanzvorstände, etwa die Büroflächen zu reduzieren. „Homeoffice“, „Remote Working“ oder auch „Mobile Working“ sind also gekommen, um zu bleiben.

Das regelmäßige Arbeiten abseits der Arbeitsstätte sollte aber gut überlegt werden, denn es birgt für Organisationen Gefahren in sich, sagt Arbeitspsychologe Georg Zepke. Gerade jetzt sei deutlich geworden, wie viel an schnellen Abstimmungen, an Orientierungsrahmen, an Vertrauensaufbau durch informelle Kontakte oft ganz beiläufig in Unternehmen passiert. Diese informellen, persönlichen Kontakte am Gang, in der Kantine, am Parkplatz vor dem Büro würden sich über Online-Kontakte nicht ausreichend kompensieren lassen. Und es zeige sich, so Zepke gegenüber science.ORF.at, ein weiters Phänomen: „Vieles, was ja jetzt doch so erstaunlich gut funktioniert, basiert auf einem Vertrauensaufbau, der über viele Jahre vorab in persönlichen Kontakten, in der Zusammenarbeit entstanden ist.

Ohne diesem gewachsen Vertrauen, so die These, hätte die Umstellung auf Homeoffice nicht funktioniert. Man müsse Führungskräften daher den Tipp geben, gründlich darauf zu achten, welche Meetings in Zukunft online möglich sind und welche nicht. Für soziale Klärungsprozesse, die Schaffung einer nachhaltigen Vertrauenskultur werde es auch in Zukunft persönliche Begegnungen brauchen, so der Arbeitspsychologe.

Das Homeoffice-Paradoxon

Rund 42 Prozent der österreichischen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen haben Ende 2020 von zu Hause aus gearbeitet, das belegt eine aktuelle Studie des Meinungsforschungsinstituts Gallup. Homeoffice findet derzeit bei vielen Anklang, es kann aber zum sogenannten „Homeoffice-Paradoxon“ führen, das gesundheitliche Probleme – seelische, wie körperliche – mit sich bringen kann, sagt Public Health-Experte Erwin Gollner von der FH Burgenland.

Homeoffice könne ein Segen sein, aber auch ein Fluch. Daher sei es wichtig, so der Experte, sich einige Punkte gut zu überlegen, damit man nicht in die sogenannte „work-life-blending“-Falle tappe. In dieser würde die Grenze zwischen Erwerbsarbeit und Privatleben unscharf zum Nachteil der Arbeitnehmerin, des Arbeitnehmers. Im Homeoffice brauche man Selbstorganisationskompetenzen. Konkret heißt das, man brauche klare Strukturen, etwa: Wann arbeite ich, wann und wie mache ich Pausen, wo arbeite ich und wie kann ich mich an meinen Tagesplan halten? Der Experte empfiehlt zudem, wenn nur irgendwie möglich, sich einen fixen Arbeitsplatz in der Wohnung einzurichten.

Studien verdeutlichen, so Gollner, dass vor allem die negativen Auswirkungen auf die Gesundheit unterschätzt würden. So seien die soziale Isolation und eine schlechte Büroausstattung Gefahrenquellen. Selten gebe es z.B. eine Büroausstattung, wie am Arbeitsplatz – „was natürlich entsprechende Auswirkungen auf den Bewegungsapparat von der muskulären Seite hat“. Fazit des Gesundheitsmanagers: Es braucht einen bewussteren Umgang mit Homeoffice, von Arbeitnehmer- wie Arbeitgeberseite, damit es weder kurz- mittel- oder langfristig zu Gesundheitsproblemen kommt.

Disruptive Veränderung durch den Lockdown

Organisations- und Zukunftsforscher verwenden derzeit gerne den englischen Begriff „disruptive change“, also disruptive Veränderung; in der wir uns derzeit befinden würden. Der US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Clayton Christensen hat den Begriff der Disruption Ende der 1990iger Jahre geprägt. Seiner Theorie zufolge sind für die Weiterentwicklungen von Märkten disruptive Veränderungen notwendig.

Durch eine Disruption könne etwas grundlegend Neues entstehen, so sieht das auch die international tätige Wirtschaftswissenschaftlerin und Coaching-Expertin Sonja Radatz. Die Pandemie etwa habe uns gezeigt, dass Dinge möglich sind, die wir nicht für möglich gehalten hätten. „Es war für Menschen undenkbar zu sagen: Wir machen einmal die Rollladen runter für einige Zeit, nicht für einen Tag und nicht mal für eine Stunde, sondern für einige Wochen. Heute wissen sie, man kann ein Land in einen Lockdown schicken.“ Es geht also sehr viel an disruptiver Veränderung, sagt Radatz.

Viele Organisationen wollen zurück vor die Krise

Mit diesem Wissen, dass das Undenkbare möglich ist, sollten notwendig gewordene Veränderungen im Zuge von Klimaerwärmung und Digitalisierung vorangetrieben werden. Man könne die Krise als Chance nutzen. „Viele Organisationen werden in die Bedeutungslosigkeit fallen, andere Organisationen haben hingegen gute Chancen, wenn sie sich jetzt gut aufstellen; ich glaube es geht wirklich um das Jetzt, ich kann damit jetzt nicht mehr fünf oder sechs oder sieben Jahre warten, das wäre auch aus meiner Sicht für die Belegschaft nicht sehr verantwortungsvoll“, sagt Radatz. Aber: Noch sei diese Botschaft nicht in allen Chefetagen angekommen.

Das bestätigt auch eine derzeit laufende qualitative Studie des Organisationsforschers Thomas Schweinschwaller mit dem Titel „Jetzt für das Danach lernen – Was hilft Organisationen beim Umgang mit Krisen und Unvorhersehbaren?“ In einer ersten Analyse seiner Interviews, die Schweinschwaller in Österreich durchgeführt hat, kommt er zur Erkenntnis, dass die Mehrheit der Organisationen lernfähig, aber nicht transformationsbereit ist.

Das Bestreben sei groß wieder so arbeiten zu können, wie vor der Krise, „Die Hauptergebnisse der Studie zeigen, die meisten wollen zurück zu Vorher. D.h. man hat sehr, sehr viel geschaffen und es ist irrsinnig viel gelungen in Bezug auf Homeoffice, auf kreative Mitarbeiter, auf schnelle Lösungen. Es wurde ganz viel adaptiert. Aber nur einige wenige Organisationen haben Zeit investiert für wirkliche Innovationen, für das Danach.“

Corona und psychische Gesundheit

Seit Monaten leben die Menschen aufgrund der CoV-Pandemie weltweit unter mehr oder weniger starken Einschränkungen. Die Folgen sind seither dramatisch – für die Gesundheit, für das wirtschaftliche Überleben, für das gesellschaftliche Zusammenleben. Und erst langsam werden die Auswirkungen, die die Pandemie auf das psychische Befinden der Menschen hat, sichtbar.

UNO-Generalsekretär Antonio Guterres betonte aus Anlass des Tages der psychischen Gesundheit am Samstag, dass erst jetzt die Folgen der Coronavirus-Pandemie auf das psychische Wohlbefinden der Menschen sichtbar werden. Das sei jedoch „erst der Anfang“, wurde er in einer Aussendung der Vereinten Nationen in Wien zitiert.

„Viele Gruppen, darunter ältere Menschen, Frauen, Kinder und Menschen mit bestehenden psychischen Erkrankungen, sind mittel- und langfristig einem erheblichen Gesundheitsrisiko ausgesetzt“, betonte Guterres.

Kaum jemand unberührt

Unberührt lässt die Pandemie mit ihren Auswirkungen auf alle Lebensbereiche jedenfalls kaum jemanden. Auch psychisch Gesunde spüren eben die Belastungen, wenn auch meist weniger stark und mit Verzögerung, wie bereits im Sommer eine Studie feststellte.

Erst diese Woche wurde freilich eine Studie zu Wien präsentiert. Dabei gab ein Viertel der Befragten an, psychisch unter dem pandemiebedingten Stress zu leiden. Es zeigte sich zudem eine direkte Abhängigkeit des Wohlbefindens von der wirtschaftlichen Situation – mehr dazu in wien.ORF.at. Erschöpfung und anhaltende Müdigkeit dürften zwei der häufigeren psychischen Folgen der Belastung sein, wie eine irische Studie nahelegt – mehr dazu in science.ORF.at.

Hilfe im Krisenfall

Berichte über (mögliche) Suizide können bei Personen, die sich in einer Krise befinden, die Situation verschlimmern. Die Psychiatrische Soforthilfe bietet unter 01/313 30 rund um die Uhr Rat und Unterstützung im Krisenfall.

Die österreichweite Telefonseelsorge ist ebenfalls jederzeit unter 142 gratis zu erreichen. Hilfe für Jugendliche und junge Erwachsene bietet auch Rat auf Draht unter der Nummer 147.

Mehr Geld für Therapien gefordert

„Zu wenige Menschen haben Zugang zu hochwertigen psychiatrischen Diensten. In Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen erhalten mehr als 75 Prozent der Menschen mit psychischen Erkrankungen überhaupt keine Behandlung“, sagte er. „Insgesamt geben die Regierungen im Durchschnitt weniger als zwei Prozent ihres Gesundheitsbudgets für die psychische Gesundheit aus. Das kann so nicht weitergehen“, kritisierte Guterres in einer Erklärung zum Welttag für psychische Gesundheit am Samstag (10. Oktober).

Weltweit leben laut UNO fast eine Milliarde Menschen mit einer psychischen Störung. Alle 40 Sekunden stirbt jemand durch Suizid. All das galt laut Guterres bereits vor dem Ausbruch der Pandemie. „Wir müssen jetzt zusammenarbeiten, um allen, die sie benötigen, eine qualitativ hochwertige psychiatrische Versorgung zur Verfügung zu stellen, damit wir uns schneller von der Covid-19-Krise erholen können“, forderte der UNO-Generalsekretär.

Mehr Alkoholkonsum und Angstzustände

Die WHO-Direktorin für psychische Gesundheit, Devora Kestel, nannte die psychischen Folgen diese Woche den „vergessenen Aspekt von Covid-19“. „Die Trauer um verstorbene Corona-Opfer, Vereinsamung, Einkommensverluste und Angst lösen psychische Erkrankungen aus oder verschlimmern bereits bestehende Erkrankungen.“ Viele Menschen reagierten auf ihre Probleme mit „erhöhtem Alkohol- und Drogenkonsum, Schlaflosigkeit und Angstzuständen“.

Obwohl alle Regionen der Welt betroffen sind, gelang es reichen Staaten laut WHO besser, Dienstleistungen im Kampf gegen psychische Probleme aufrechtzuerhalten. 30 Prozent der zwischen Juni und August befragten Staaten aber gaben an, dass vor allem die Notfall- und Medikamentenversorgung Betroffener unter der Krise litten. Auch Präventionsprogramme seien stark betroffen – unter anderem aufgrund von Reisebeschränkungen. Inzwischen gebe es aber auch kreative Lösungsansätze wie Telemedizin und Teletherapie.

Ruf nach mehr Leistungen auf Krankenschein

Freilich gibt es auch in Österreich seit Jahren Forderungen, die Behandlungen psychischer Erkrankungen auf Krankenschein auszubauen. Dazu fehlen in vielen Bereichen auch die nötigen Ärztinnen und Ärzte und Einrichtungen, etwa für Jugendliche. Im Regierungsprogramm haben ÖVP und Grüne sehr allgemein einen Ausbau der Leistungen auf Krankenschein festgehalten. In Salzburg warnt etwa der Verein Pro Mente vor den Spätfolgen des Lockdowns im Frühjahr – mehr dazu in salzburg.ORF.at.

WHO: Lohnt sich auch volkswirtschaftlich

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) weist ihrerseits auf Schätzungen vor Beginn der Pandemie hin, wonach allein durch Depressionen und Angstzustände jedes Jahr rund eine Billion Dollar (850 Mrd. Euro) an Produktivität verloren gingen. Laut WHO brachte aber jeder Dollar, der für ihre Behandlung ausgegeben wurde, fünf Dollar ein. Mit anderen Worten: Ein breites Angebot zur Behandlung psychischer Erkrankungen hilft nicht nur den Betroffenen, sondern rechnet sich auch volkswirtschaftlich.

Corona und psychische Belastungen

Corona – Psychische Belastungen kommen verzögert

Die vergangenen Monate waren in vielerlei Hinsicht eine große Herausforderung für die Gesellschaft, auch für die Psyche. Für viele Menschen, die schon zuvor psychisch instabil waren, verschärften Ungewissheit und Einsamkeit die Symptome. Jetzt beobachten Fachleute, dass auch gesunde Menschen unter seelischen Belastungen leiden.

Wie Menschen mit belastenden Situationen umgehen, ist sehr unterschiedlich. Hier kommt das Phänomen der Resilienz ins Spiel: Eine gute familiäre und soziale Basis sorgt beispielsweise bei jungen Menschen für größere seelische Widerstandskraft. Und die lässt sie idealerweise ein Leben lang besser mit Herausforderungen umgehen. Bei vielen überlagerten sich allerdings in letzter Zeit die Probleme, sagt die Psychiaterin Beate Schrank, die das Präventionsprojekt D.O.T. – Die offene Tür der Ludwig Boltzmann Gesellschaft und der Karl Landsteiner Privatuniversität leitet.

 Anspannung rund um die Uhr

Das können finanzielle Sorgen und Arbeitslosigkeit sein, Eltern balancieren zwischen Homeoffice und Kinderbetreuung, viele haben mit sozialer Isoliertheit und Einsamkeit zu kämpfen. Hinzu kommt die Ungewissheit, wie sich die wirtschaftliche und soziale Situation weiterentwickeln wird. „Das kann zu Erschöpfungszuständen führen, zu depressiven Zuständen natürlich, zu Ängsten und Schlafstörungen,und – was wir während der vergangenen Monate auch vermehrt beobachtet haben – zu Alkohol- oder Drogenkonsum“, so Schrank.

Die chronische Anspannung und Verunsicherung belasten rund um die Uhr. Es gebe keine Pause von den Sorgen, so die Psychiaterin. „Das heißt, man muss permanent funktionieren in einer Situation, in der man gleichzeitig dauernd angespannt ist“, so Schrank weiter. Das führe zu psychischer Erschöpfung: Die Ressourcen, die man braucht, um mit solchen Belastungszuständen umzugehen, werden aufgebraucht. Ein Umstand, auf den auch der Verein Pro Mente vor Kurzem aufmerksam machte. Die Belastung der vergangenen Monate äußere sich vielfach erst jetzt.

Belastung sehr unterschiedlich

Für Menschen, die bereits unter einer psychischen Erkrankung zu leiden hatten, bevor die Pandemie und der Lockdown kamen, sei die Situation sehr unterschiedlich, so Schrank. Ausführliche Studien zur erlebten Belastung psychisch stabiler Menschen im Gegensatz zu jenen, mit bekannten psychischen Problemen, gibt es noch nicht, lediglich Beobachtungen. In der Praxis und im klinischen Alltag habe sie als Psychiaterin einige Menschen mit Burn-out-Symptomen gesehen, die etwa durch das Homeoffice oder die Kurzarbeit eine Art Entlastung verspürten.

Für Menschen mit sozialen Ängsten sei der Lockdown ebenfalls entlastend gewesen. „Viele von ihnen hatten das Gefühl, nicht mehr raus zu müssen, quasi offiziell zu Hause bleiben zu dürfen, ohne durch ihren sozialen Rückzug aufzufallen“, so Schrank. Auch Menschen mit einer generalisierten Angststörung könnte es besser gegangen sein, weil sich die gesamte Medienberichterstattung auf ein Problem, eine Bedrohung konzentrierte.

Depressive litten unter Lockdown

Belastend waren die vergangenen Monate für viele mit einer depressiven Symptomatik: Sorgen, ein ungeregelter Tagesablauf und fehlende soziale Verbundenheit konnten die Situation dieser Menschen verschlimmern. Und auch jetzt sei die Situation für viele belastend, sagt Schrank. „Weil man eben nicht einmal eine Perspektive für sich bilden kann, weil gar nicht einschätzbar ist, wie das weiter geht“, so die Psychiaterin weiter.

Neben Unterstützung für die Wirtschaft und Maßnahmen zur Arbeitsplatzschaffung hofft die Psychiaterin auch auf Maßnahmen, die darauf abzielen, eben jenen zu helfen, die schwere psychische Belastungen erleben. Und allgemein empfiehlt sie, auf die eigenen Ressourcen zu achten, sich zu schonen und rechtzeitig aufzuladen. Sollte man eine Überforderung spüren, sollte man sich so schnell wie möglich Hilfe suchen, um eine Chronifizierung der Belastungszustände zu vermeiden.

Die Psychologie der Corona-Krise

Eine Seuche bricht aus und vieles scheint vergessen: Kriege, Hunger, Gewalt, die Not der Flüchtlinge – auch der Klimawandel. Krisen werden weltweit durch die Pandemie noch dramatischer. Schauen wir nur nicht mehr hin? Eine Umweltpsychologin der Uni Salzburg erklärt, warum dieses Coronavirus, das jeden treffen kann, ganz besondere Ängste weckt.

 ZEIT ONLINE: Frau Uhl-Hädicke, Sie erforschen, wie Menschen auf Krisen reagieren. Kann man aus der aktuellen Lage etwas für andere Situationen lernen?

Isabella Uhl-Hädicke: Ja, man kann von Krisen lernen – aber nur für Fälle, die ähnlich sind. Die Corona-Pandemie ist momentan sehr präsent, recht plötzlich aufgetreten und für viele bedrohlich. Andere Herausforderungen wie der Klimawandel kommen dagegen langsamer daher.

ZEIT ONLINE: Auch bei Sars-CoV-2 kam die Betroffenheit eher schleichend. Obwohl in China die Lage seit Wochen dramatisch war, brauchten wir hierzulande lange, um die Krankheit wirklich ernst zu nehmen. Erkennt der Mensch neue Gefahren nur langsam?

Menschen versuchen, irgendwie die Kontrolle wiederzuerlangen.

Uhl-Hädicke: Wir sind Gewohnheitstiere. Veränderungen sind für uns schwierig. Aber meines Erachtens hat im Fall von Corona der Panikmechanismus extrem gut funktioniert. Hier in Österreich begannen schon die Hamsterkäufe, als es noch keinen einzigen bestätigten Fall gab.

ZEIT ONLINE: Warum rannten die Leute dann los?

Uhl-Hädicke: Weil sie einen Kontrollverlust spürten. Wir Menschen versuchen, irgendwie die Kontrolle wiederzuerlangen – indem wir Masken kaufen oder Desinfektionsmittel oder was auch immer. Dann haben wir das Gefühl, wir sind gewappnet, zumindest teilweise.

ZEIT ONLINE: Es geht also um das Gefühl, wieder Kontrolle zu gewinnen?

Uhl-Hädicke: Genau. Wenigstens im Kleinen können wir unsere Welt kontrollieren. Das ist das Gefühl einer zumindest geringen Form von Selbstwirksamkeit.

ZEIT ONLINE: Angesichts des Coronavirus unternehmen viele Menschen tatsächlich etwas. Warum ändern sie bei einer Bedrohung wie dem Klimawandel ihr Verhalten weniger stark?

Uhl-Hädicke: Der Klimawandel kommt schleichend daher, das macht ihn für viele schwerer greifbar. Auch wenn er in seinem Ausmaß letztlich vermutlich viel bedrohlicher für uns alle ist als das Coronavirus, löst er nicht dieselbe Art von Panikgefühl aus. Viele empfinden vor allem Ohnmacht. Unsere Studien zeigen, dass viele Menschen denken, als Einzelne könnten sie ohnehin nichts bewirken.

Arbeitsschutz für Mitarbeiter – 10 Regeln

Diese Regeln sollen Arbeitnehmer vor Infektion schützen (deutscher Standard ab 15.4.)

1. Bestehender Arbeitsschutz gilt weiter: Arbeitsschutzmaßnahmen, die bisher schon in den Unternehmen gelten, sollen weiter gelten – aber zusätzlich durch Infektionsschutzmaßnahmen ergängt werden. Das sei für alle Unternehmen in Deutschland verbindlich.

2. Betriebsärzte sollen Unternehmen beraten: Bei der Umsetzung dieser Maßnahmen sollen die Unternehmen Hilfe von Betriebsärzten und medizinischem Personal bekommen. So soll es zum Beispiel Unterweisungen für Beschäftigte geben, wie sie sich am Arbeitsplatz verhalten sollen – gegebenenfalls auch telefonisch. Besonders bedrohte Arbeitnehmer sollen eine Einzelberatung in Anspruch nehmen können.

3. Abstand muss eingehalten werden: Konkret wird unter anderem grundsätzlich vorgegeben, dass ein Abstand von mindestens 1,5 Metern zu anderen Menschen auch bei der Arbeit einzuhalten ist – und zwar in Gebäuden, im Freien und in Fahrzeugen.

Dafür müssten Absperrungen, Markierungen oder Zugangsregelungen umgesetzt werden. Wo dies nicht möglich ist, seien alternativ etwa Trennwände zu installieren – die sind schon jetzt in vielen Supermärkten in Form von Plexiglas-Trennern installiert.

4. Möglichst wenige Menschen auf einmal: Die Arbeitsabläufe in den Unternehmen sollen so organisiert werden, dass Beschäftigte möglichst wenig direkten Kontakt zueinander haben. Dies gelte etwa für Pausen, Schichtwechsel oder Anwesenheit im Büro.

5. Nicht krank zur Arbeit: Für Beschäftigte gilt der Grundsatz: „Niemals krank zur Arbeit“, betonte Bundearbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Wer Symptome wie leichtes Fieber habe, solle den Arbeitsplatz verlassen oder zu Hause bleiben, bis der Verdacht ärztlich geklärt ist. Es handele sich um verbindliche Regeln, sagte Heil. Die Behörden würden die Einhaltung auch stichprobenartig kontrollieren. Man gehe aber davon aus, dass sich die Unternehmen an die Vorgaben halten.

6. Mundschutz: Ist das Einhalten des Sicherheitsabstandes nicht machbar, sollen die Arbeitgeber Nase-Mund-Bedeckungen für die Beschäftigten und auch für Kunden und Dienstleister zur Verfügung stellen.

7. Waschgelegenheiten müssen vorhanden sein: Die Arbeitgeber müssten zudem dafür sorgen, dass die Arbeitnehmer ihre Hände waschen und desinfizieren können.

8. Häufige Reinigung: Büros, Fahrzeuge und andere Flächen, die bei der Arbeit benutzt werden, sollen häufiger als sonst gereinigt werden.

9. Unternehmen kooperieren mit Gesundheitsbehörden

10. Grundsatz „Gesundheit geht vor“: Heil erklärte, die Gesundheit der Beschäftigten habe zu jeder Zeit Priorität, darauf sollten vor allem Führungskräfte achten.