Österreichs Firmenchefs wird mehrheitlich ein ziemlich autoritärer Führungsstil nachgesagt. Nun gelten allerdings die Medien a priori als liberalere Branche. Das Magazin Extradienst fragte nach, wie hoch die Konsens-Bereitschaft medialer Entscheidungsträger hierzulande tatsächlich ist. Arbeitspsychologische Kommentierung: Dr. Christian Blind. Interview online
Österreich ist, angeblich aus historischen Gründen, deren Erklärung besser Fachkräften vorbehalten bleibt, stark von obrigkeitlichen Strukturen geprägt. Das schlägt sich, sagen Experten, nicht zuletzt in Form autokratischer Unternehmensführungen nieder. Österreichs Firmen-Chefs vertrauen mehrheitlich einem autoritären Führungsstil, verstehen ihre Mitarbeiter als Befehlsempfänger, geizen mit Lob, sind umso schneller mit Kritik da und kennen Vokabel wie „Einfühlungsvermögen“, „Gewährenlassen“ oder „Mitbestimmung“ nicht einmal vom Hörensagen.
Nun wird den Medien grundsätzlich eine liberalere Betriebspraxis nachgesagt, als es im Berufsleben sonst üblich ist. Insofern sie den Arbeitskräften mehr als sonstwo persönliche Profilierungsmöglichkeiten zumindest verheißen, motivieren sie diese – gleichsam systemimmanent – zu mehr Leitungsbereitschaft als etwa ein Post- oder Beamten-Job. Was theoretisch Chef-Gebrüll und ähnliche militärische Umgangsformen als Anreiz für eine Leistungssteigerung überflüssig machen würde. Die Mitarbeiter wären in diesem Sinne von sich aus bestrebt, das Beste für ihr Unternehmen – weil zugleich auch ihr eigenes Bestes – zu erarbeiten. Ein Argument für Handlungsspielraum, das sich allerdings noch nicht so richtig bis in die Chefetagen der österreichischen Medienhäuser durchgesprochen zu haben scheint.
„Dieses Thema kann grosso modo nur empirisch gestützt seriös behandelt werden. Der Volksmund sagt aber häufig, in der österreichischen Medienbranche ginge es eher undifferenziert autoritär ab“, umschreibt der renommierte Salzburger Arbeitspsychologe Christian Blind, den immer mal wieder auch mediale Entscheidungsträger um Rat und Hilfe aufsuchen, in aller gebotenen Vorsicht den Ist-Zustand: Chefredaktionen österreichischer Medien sind mehr denn alles andere Kommandozentralen.
Diese eher desillusionierende Einsicht steht in interessantem Gegensatz zur Selbsteinschätzung österreichischer Print-Autoritäten. Die bekennen sich nämlich mehrheitlich zu einem konsensuellen Führungsstil. profil-Herausgeber Christian Rainer tut das immerhin in ironischer Doppelbödigkeit. Er beschreibt sich als „konsensorientiert – so lang alle meiner Meinung sind. Und wenn das nicht der Fall ist – ist das nicht immer der Fall?“
News-Chefredakteur Peter Pelinka bekennt sich demgegenüber ohne Einschränkung zu Gemeinschaftlichkeit und Einvernehmen: „Ich schätze meinen Führungsstil als absolut konsensorientiert ein. Der beste Weg zur Optimierung eines Teamerfolgs ist stets die möglichst große Transparenz der Entscheidungsgrundlagen und die Einbeziehung möglichst vieler Beteiligter in den Prozess der Entscheidungsfindung. Nur dann kann ich auch verlangen, dass alle mitziehen und sich auch an die vereinbarten Ziele halten.“
Auch Tageszeitungs-Chefredakteure stellen nach eigenem Bekunden die Kraft der Argumente über die Macht der hierarchischen Position, behalten sich aber die Option des letzten Wortes vor.
„Ich würde mich als konsensorientiert bezeichnen“, deklariert sich Mario Zenhäusern, CR der Tiroler Tageszeitung. „wenn ich auch hin und wieder notwendigerweise klare Entscheidungen – ,autoritär‘ wäre hier m.E. das falsche Wort – in Abstimmung mit (Co-Chefredakteurs-)Kollegen Alois Vahrner treffe.“ „Ich versuche immer, meine Leute zu überzeugen“, sagt Christian Ortner, CR der Vorarlberger Nachrichten. „Natürlich gelingt es nicht immer, alle in einer Gruppe von etwas zu überzeugen. Dann treffe ich klare Entscheidungen, die aber für die Kollegen immer nachvollziehbar sein sollten.“
Reinhold Dottolo, CR der Kärntner Kleinen Zeitung: „In meiner Selbsteinschätzung liegt die Konsensorientierung weit vorne. Das schließt aber nicht aus, dass gelegentlich auch eine Entscheidung autoritär gefällt werden muss. Vor allem dann, wenn es um Grundsätze geht. Wichtig ist nur, dass begleitend eine sachliche Begründung erfolgt, wobei es dann unwesentlich ist, ob sie von dem oder der Betroffenen verstanden oder akzeptiert wird.“
„Ich würde es so sagen: ich diskutiere gerne, entscheide aber auch gerne“, gibt sich Kurier-CR Helmut Brand stätter flexibel.
Autoritäres Führungsverhalten äußerst sich in vielerlei Form: Mitarbeiterseitige Gehorsamspflicht und -erwartung, kein bzw. mangelhaftes Feedback auf Leistungen, Untergrabung der Eigenmotivation der Mitarbeiter, Ignorieren von Überlastung. Ihre wirksamste Strategie ist aber die permanente Druckausübung mittels Androhung einschneidender, potenziell existenzgefährdender Konsequenzen. Rainer, Dottolo und Ortner räumen – alle Wert legend auf die Feststellung, dass es sich um sehr seltene Einzelfälle handle – ein, Mitarbeitern schon mal wegen mangelhafter Leistungen die Kündigung in Aussicht gestellt bzw. eine solche auch exekutiert zu haben; Pelinka deutet dies zumindest an („Wenn ein Mitarbeiter trotz bester Arbeitsbedingungen keinen guten Willen zeigt, muss es Konsequenzen geben – alles andere wäre Führungsschwäche und eine Schwächung des Teams“). Vom systematischen Druck-Ausüben als Methode distanzieren sich Österreichs Chefredakteure jedoch weitgehend. Wieder ist es Christian Rainer, der relativiert: „Ich sehe den Unterschied zwischen Überzeugungskraft und Druck ausüben nicht.“ Brandstätter verweist demgegenüber auf ein physikalisches Gesetz: „Druck erzeugt Gegendruck. Und Kreativität ist mit Druck wohl auch nicht zu erzwingen.“ VN-CR Ortner wiederum sieht den Druck, statt von oben herab angewandt, lieber vom Mitarbeiter auf sich selbst ausgeübt: „Ich versuche, das Tempo, die Anforderungen des Einzelnen an sich selbst hoch zu halten. Wir sind eine Tageszeitung und ein relativ kleines Team, da können wir uns keinen Schlendrian leisten“.
Schuldbewusstsein kommt bei den Redaktionschefs vereinzelt auf, wenn es um allfälliges Lob für Mitarbeiter geht. Nicht unbedingt bei Christian Rainer – „Wenn Lob Geldes wert wäre, wären viele profil-Mitarbeiter Euro-Millionäre. Die hätten aber lieber die Kohle“. Auch nicht bei Helmut Brandstätter: „Ich habe eben erst ein Lobmail an eine Mitarbeiterin geschickt, die sehr gute Beiträge geliefert hat.“ Eher schon bei Reinhold Dottolo, der einräumt „stressbedingt vermutlich zu wenig“ Anerkennung zu spenden, und bei Christian Ortner: „Asche auf mein Haupt – ich lobe sicher zu wenig. Man muss allerdings auch aufpassen, dass Lob nicht kontraproduktiv wird. Wenn man jemanden etwa in einer Sitzung lobt, sind Mitarbeiter, die nicht gelobt werden, immer in der Mehrzahl. Ich versuche, Leistungen in Form von kleinen Geschenken und nicht selbstverständlichen Aufmerksamkeiten zu honorieren: Gutscheine oder eine Flasche Champagner etwa; Blumen für die Sekretärin. Ich habe auch schon jungen Mitarbeitern von mir aus eine Lohnerhöhung angeboten und nicht erst gewartet, bis sie selbst fragten.“
Ähnlich bedachtsam geht Ortner mit negativem Feedback vor. Kritik, die sich vor allem an der Nicht-Erbringung zugesagter Leistungen entzünden kann, äußert er im Vier-Augen-Gespräch – „niemand wird vor versammelter Mannschaft zur Schnecke gemacht“. Wenn Christian Rainer schimpft, dann nur mit sich und seiner Mutter, „und auch das immer seltener“. Missfallen äußert er durch Schmallippigkeit: „Es ist mir über die Jahre gelungen“ – 13 sind es inzwischen – durch ein Lippenbekenntnis ausreichend zu signalisieren, dass ich unerfreut bin.“
Gesundheitlich relevant
Die Frage „Konsensorientiert oder autoritär?“ ist nicht einfach die Auseinandersetzung zweier unterschiedlicher Denkschulen. Wenn Arbeitsmarkt-Experten von Firmenchefs ein Mitspracherecht für Mitarbeiter einfordern, so geht es dabei nicht um eine Humanisierung des Arbeits-Alltags, sondern um das gleiche Ziel, das eine restriktive Arbeitspraxis verfolgt: Aus besagten Mitarbeitern das Optimum an Leistung herauszuholen. Eine definitive Aussage, welches der beiden Modelle dieses Bedürfnis besser erfüllt, lässt sich, so Arbeitspsychologe Blind, nicht so einfach treffen: „Wenn man Führungsstile nicht veralteterweise aus Menschenbildern ableitet, sondern Arbeitsanalysen zugrundelegt, dann sind diese vor allem aus den Arbeitsanforderungen zu begründen. Grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass moderne Medienarbeit für den Ausführenden zumeist deutlich höhere Handlungsspielräume beinhaltet. Insofern wäre zur Erreichung einer hohen, authentischen Produktqualität das Gewähren von Handlungsspielräumen führungsseitig durchaus sinnvoll. Wenn man aber unterstellt, dass die hochgradige Konzentration des österreichischen Mediensektors häufig zu relativ uniformer Medienproduktgestaltung führt und insofern Standardisierung und Kontrollmechanismen führungsseitig begünstigt, dann gibt es eben eine innere Sachlogik zu autoritär begründeter Arbeitsorganisation. Fazit: Die Effektivität von Führungsstilen muss sich auf die Arbeitsorganisation und Arbeitsanforderungen beziehen, auf das intendierte Ergebnis und die vorhandenen Führungspersonen und Teammitglieder. Ist hier keine brauchbare Stimmigkeit gegeben, sind vielfache Konfliktpotenziale auf diversen Ebenen gegeben.“
Sind autoritäre Chefredakteure für die Gesundheit Ihrer Mitarbeiter (damit im weiteren Sinne eines Unternehmens) ein signifikant größeres Risiko als konsensuale? Werden autoritär geführte Mitarbeiter häufiger krank als solche, denen größerer Handlungs- und Entscheidungsspielraum zugestanden wird und die freundliche Ansprache genießen?
„Diese Frage kann ziemlich eindeutig mit ,ja‘ beantwortet werden“, erklärt Blind. „Sind Führungskräfte vor allem formale Autoritäten und werden diese nicht als gewachsene, echte Autorität im Sinne einer Persönlichkeit wahrgenommen und praktizieren diese viele Schemata autoritären Führungsverhaltens – Gehorsamspflicht, mangelhaftes arbeitsbezogenes Feedback, Überbelastung, geringe Wertschätzung usw. – dann kann man durchaus krankheitswertiges Führungsverhalten konstatieren. Gerade die Führungsthematik ist aktuell fachlich zu einem Kernbereich der betrieblichen Gesundheitsförderung geworden.“